Zusagen an das Volk Gottes

Religiös begründete Gewalt zeigt sich an vielen Fronten: Protestanten und Katholiken bekämpften sich in Nordirland, radikale Sunniten sprengen sich vor schiitischen Heiligtümern in die Luft, buddhistische Extremisten töten Muslime in Bunny, muslimische Attentäter töten betende Juden in einer Synagoge, orthodoxe Juden vertreiben muslimische Palästinenser unter Berufung auf allerhöchste territoriale Zusagen an das Volk Gottes. Und nun auch noch Russlands Präsident Wladimir Putin, der die Krim mit Jerusalem vergleicht und damit den Ukraine-Konflikt in religiöse Höhen führt. Lauter Unwörter sind im Umlauf: Gotteskrieger errichten Gottesstaaten, Hassprediger werben hierzulande für heilige Kriege, weshalb nun Menschen für das christliche Abendland auf die Straße gehen, die auch nicht gerade von der Zusage erfüllt wirken: Selig sind die Friedfertigen. Wer als Christ im realen Sozialismus groß wurde, der wird die bedrohlich-höhnische Vorhersage nicht vergessen, dass Religion ein aussterbendes Phänomen sei und mit ihr die Kirchen und die religiösen Menschen selbstverständlich verschwänden. Der Kommunismus als Religions-Placebo hat jedoch versagt. Heute gibt es eine andere Schreckensvision: dass die Glaubenskrieger am Ende keine „Ungläubigen“ übrig lassen werden, sollten sie je in den Besitz von Atomwaffen kommen. Die Glaubensfragen, denen sich niemand entziehen kann, lauten also: Speist sich der Horror aus denselben Quellen wie der Zauber des Glaubens? Warum führt die Verehrung des eigenen Gottes so oft in den Krieg gegen die Verehrer eines anderen Gottes oder einer anderen Vorstellung desselben Gottes?

Suchen wir beim Papst nach einer Antwort, so finden wir seinen etwas unpräzisen Verweis auf die „religiösen Wurzeln“ Europas, womit er das Christentum meint. Er rät zudem wie sein Vorgänger zu einem Bündnis von „Vernunft und Glauben, Religion und Gesellschaft“, um sich wechselseitig zu läuten“. Bei der Rückschau zu den Wurzeln, also in die Geschichte Europas, fallen die Gewaltausbrüche mit religiöser Legitimation eher ins Gewicht als die aus Gottesverherrlichung rührende Friedfertigkeit. An Beispielen ist kein Mangel: Der Schwede Gustav Adolf missionierte militärisch zugunsten des Protestantismus. Katholiken verfolgten Reformierte in Frankreich, weshalb die als Hugenotten bezeichneten Franzosen zu Tausenden flohen, auch nach Preußen, wo wiederum ein König per Zwangsfusion von oben die innerprotestantische Fehde zwischen Reformierten und Lutheranern zu beenden versuchte. Das Bündnis von Glaube und Vernunft, welches der Papst und auch protestantische Kirchenführer heute hervorheben, ist keine kirchlich-religiöse Schöpfung. Die Vernunft wurde nicht vom Klerus herbeigesehnt, sie erkämpfte sich ihren Platz gegen ihn.